Ich hasse das Wort integriert. Ich hasse Ausdrücke wie Mehrstufenmodell. Ich bin lieber Praktiker.
Umso schlimmer, wenn mir ein Referent am praktischen Beispiel demonstriert, wie weit sich meine Wahrnehmung von der Wahrnehmung meiner potentiellen Zielgruppe unterscheidet. So geschehen beim
AIDA- Pushmarketing-Seminar letzte Woche in Düsseldorf.
Markus Auth (Siegfried-Vögele-Institut) blendete für Zehntelsekunden ein Bildmotiv ein, um uns erleben zu lassen, wie unser Gehirn Informationen aufnimmt. Von allen Teilnehmern war ich die EINZIGE, die außer dem Foto mit dem Liebespaar und der Margerite auch noch DEN KOMPLETTEN ERSTEN SATZ des nebenstehenden Textes gelesen hatte. Die anderen murmelten nur etwas wie „und daneben noch was Geschriebenes.” Drum hier ein guter Rat:
An alle Co-Texter: Wenn ihr das nächste Mal überlegt, ob ein Text in einer bestimmten Konstellation noch zur Geltung kommt, VERGESST ES! Wir sind vermutlich alle „berufsgeschädigt“! Konzipiert lieber gleich neu.
Apropos Konzeption.
Unter den Referenten war auch Uwe-Michael Sinn von rabbit Emarketing, die übrigens als deutsche Agentur das Kunststück fertiggebracht haben, mit einer deutschen Einsendung im Mutterland des Direktmarketing, den USA, den begehrten Marketing Sherpa Award zu holen, sozusagen den Oskar des E-Mail-Marketings. Er stellte u. a. ein „Mehrstufenmodell” für E-Mail-Kampagnen dar, das den Kunden immer genau da abholt, wo er oder sie sich gerade befindet. Zum Beispiel
- Kurz nach Kauf,
- Nachfassen bei Neukunden 1 und 2 Monate nach Kauf,
- Tipps und Tricks nach 3 und 4 Monaten,
- Upgrade nach 5 Monaten etc.
Natürlich kommt es immer auch darauf an, welches Ziel eine Kampagne verfolgt, wie z B.
- Neukundenakquise mit Opt-in
- Soft sell
- Kaufabwicklung,
- Pflege der Kundenbeziehung oder gar
- Kundenrückgewinnung.
Eben so vielschichtig wie das echte Leben. Wenn ich auch Worte wie „Mehrstufenmodell“ wenig attraktiv finde: Doch, das machte Sinn, Herr Sinn!
Und zwar insbesondere, weil ich den Eindruck hatte, dass den anderen Teilnehmern das Thema E-Mail-Marketing ganz besonders unter den Nägeln brennt. Ich war überrascht, welcher Informationsbedarf da noch immer herrscht.
Drum noch ein Tipp an die Co-Texter: Das nächste Mal, wenn jemand in Sachen E-Mail an Euch herantritt, erst mal diplomatisch ausloten, welche Vorkenntnisse derjenige überhaupt mitbringt!
Übervolle E-Mail-Postfächer und 7000 Werbebotschaften am Tag…
…sorgen dafür, dass der Buchstabe A der alten AIDA-Formel (Attention Interest Desire Action) heute besonders fett geschrieben werden muss.
Aufmerksamkeit wird beim AIDA-Pushmarketing mittels Bildpersonalisierung erzeugt. (Z. B. Der eigene Name in den Sand eines Meeresstrands geschrieben oder als Sahneschriftzug auf eine verführerisch dampfende Tasse Cappuccino). Auch dafür hatte uns zuvor schon der nette Herr vom Siegfried Vögele-Institut die Begründung demonstriert: Den eigenen Namen erkennt man IMMER, da das Gehirn ihn wie eine Bildmarke behandelt.
So lässt man sich gern neugierig ins Internet entführen, aber eben nicht auf irgendeine langweilige Firmenadresse, eben nicht eine x-beliebige URL (Uniform Resource Locator), sondern eine PURL, eine Personal URL, also eine eigene Webseite für Martina Roters zum Beispiel. Dort wird aus Text- und Bilddatenbanken eine individualisierte One-to-One-Ansprache komponiert.
Und dann setzte Gerhard Märtterer (AlphaPicture i-clue, Veranstalter) noch eins drauf:
Der Händler eines Automobilherstellers kann mit diesem System unter Wahrung der Corporate-Identity-Vorgaben per Mausklick seine individuelle Werbung gestalten. Da sorgen der Dachgepäckträger und die Winterreifen mit Schneeketten als Kombi-Paket für mehr Umsatz-PS und auch der individuelle Preis wird aus der eigenen Datenbank eingeschossen!
Und hoch interessant wird’s für global operierende Unternehmen: Bei einer internationalen Kampagne kann die nationale Agentur mit wenigen Mausklicks ein Mailing auf die dortigen Verhältnisse anpassen. (Es gibt ja Dinge, die in einer anderen Kultur befremdlich wirken. Zum Beispiel wusste ich lange nicht, dass Weiß in asiatischen Ländern die Farbe der Trauer ist). Der Fantasie sind also keine Grenzen mehr gesetzt, wohl aber werden endlich die typischerweise davonlaufenden Kampagnenkosten begrenzt.
Morgen die Revolution
Offsetdruck war gestern. Heute ist Digitaldruck. (Wussten Sie schon, dass sich der Unterschied in den meisten Fällen nur noch durch „riecht” bzw. „riecht nicht” feststellen lässt? Und dass Digitaldruckmaschinen schon 90% aller Papierarten verarbeiten können?)
Quasi morgen früh kommt schon Digitaldruck 2.0. Denn wenn die heutigen Maschinen 110 Seiten/Min. ausspucken, so wird es die Nachfolgegeneration bereits auf 1000 Seiten/Min. bringen.
Michael Uhl (Digitaldruck Deutschland, Veranstalter), der auf mich wirkte wie eine Personalunion von schwäbischer Bodenständigkeit und WhizzKid, erklärte uns technische Möglichkeiten des Digitaldrucks – und seine praktischen Auswirkungen. So erzählte er u. a.
- Dass irgendwo im Elsass eine Maschine steht, die dafür sorgt, dass nie wieder ein Werbebrief ins falsche Kuvert gelangen kann.
- Dass RIP nichts Unanständiges ist, sondern Raster Image Prozessor heißt, und das Herzstück für variablen Datendruck, weil es der Übersetzer der Formate in die „Druckmaschinensprache” ist. Damit ist der RIP auch die letzte Engstelle für komplexe Kampagnen mit millionenfachen Adressen.
Weil’s hier gerade hinpasst:
Ein Appell an alle Kunden von Digitaldruck-Unternehmen: Die Jungs und Mädels können wirklich schon fast alles zaubern, aber gerade weil der letzte Feuerwehrauftrag auch noch gut gegangen ist, meinen jetzt ALLE, sie könnten in letzter Sekunde abliefern, und gerade deshalb könnte so ein Schnellschuss demnächst mal nach hinten losgehen…
Ich muss Worte wie „integriert“ und „Mehrstufenmodell“ nicht mögen, aber wenn ich eins aus diesem Seminar mitgenommen habe, dann Folgendes: Die Beherrschung der Komplexität ist ein enormer Wettbewerbsvorteil und fester Bestandteil der USP der Veranstalter.
Liebe Martina Roters, danke für diesen pragmatischen 😉 Text. Insbesondere den vorletzten Absatz kann ich unterstreichen. Wenn man auf die letzte Rille liefert, arbeiten alle Beteiligten ohne Netz und doppelten Boden. Und irgendwann, so die ganz banale Statistik, geht etwas schief. Und wenn es nur durch eine Druckmaschine ist, die meint, erst in 8 Stunden wieder drucken zu können, weil an einem kleinen Ritzel ein Zähnchen abgebrochen ist. Alles ist vorhanden, nur dieses verdammte Ritzel nicht, weil es noch nie kaputt gegangen ist. Viele Grüße von der vorletzten Rille Ralph
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