Kurz vor Jahresende ist mir mal wieder so eine Katastrophengeschichte passiert: Eines der Dinge, die ich abgrundtief hasse, ist Buchhaltung.
(Ja, ich weiß, Uwe und André und auch andere werden jetzt schreien: Outsourcen! Das Übel liegt bei mir gleich zu Anfang mit den Belegen, da kann mir keiner helfen – höchstens ein Tiefenpsychologe?)
Kurz und gut, ich öffne meine Buchhaltungsdatei und die hat „einen Schuss weg“. Macht nichts, denke ich, da die Datei so hoch und heilig ist, habe ich sie ja noch auf dem blauen Stick gesichert. Nur – genau den vermisse ich seit den Weihnachtstagen. Hab‘ gedacht, der taucht schon von alleine wieder auf. Und er kann ja nur in diesem Raum sein. Also muss ich ihn JETZT suchen, denn ich brauche ihn ja. Den kurzen Gedanken an „was wäre wenn – ich die Belege eines Jahres neu eingeben müsste“, verdränge ich energisch.
Also beginne ich mit der Suche in der direkten Umgebung des Computers.
Nichts!
Nur der Ersatz-Stick, der steckt in der Schnittstelle – allerdings fehlt ihm die Schutzkapsel. Den hatte ich vor ein paar Tagen wieder aus dem Badezimmer unter den flauschigen, Feuchtigkeitsschutz bietenden Handtüchern geholt.
(Ich habe immer die Fantasie, meine akuten Daten von dort aus in Nachbars Garten zu werfen, wenn mal das Haus brennt).
Da liegt noch ein breiter schwarzer Stick, doch der liegt dort zur Abholung für einen Bekannten, den mein Mann gerade besuchen gegangen ist. Warum hat er ihm den Stick nicht gleich mitgenommen?
Auf dem Ersatz-Stick ist die Datei nicht.
Okay, also ran ans Sideboard. Er muss ja in diesem Raum sein, denn nach der letzten Sitzung in der Pfarrei hatte ich ihn sicher nicht mehr benutzt.
Auf dem Sideboard befinden sich noch der ordentliche „VorWeichnachtennichtmehrweggeräumt-Stapel“ , die Weihnachtsdeko und diverse Dankeschön-Geschenke wie eine Flasche Champagner, eine Schachtel Pralinen, sowie die CD-Stapel, die mein Sohn hartnäckig nicht wegräumt (merkt ihr was?). Dass das Sideboard hinten nicht luftdicht mit der Wand abschließt, verdränge ich auch ganz schnell.
Jetzt kommt erst mal meine Handtasche dran (Typ 30×40 cm). Denn in dem kleinen Innenseitenfach, direkt in der Zip-Plastiktüte mit den Medikamenten, da ist der eigentliche, permanente Platz für den Stick.
Da ist er nicht!
Ich räume die Handtasche aus. Wenn ich ja anders drauf wäre, könnte ich ja gleich ein paar Sachen aus- und umsortieren, doch dafür hab‘ ich jetzt keinen Kopf. Denn er fühlt sich an, als wär‘ er aus Beton. Und mein Puls beschleunigt sich merklich. Ich kann mich auch nicht freuen, dass ich in einem der Fächer jetzt die lang gesuchte Leder-Haarspange wiederfinde, die ich so schmerzlich vermisst hatte.
Zurück in den Raum! Ich fange an, zu hyperventilieren und atavistische Laute von mir zu geben. „Was wäre wenn…“ steht vor meinen Augen! Mein Sohn kommt besort gucken und ob meines kalkweißen Anblicks geht er sogar seine Solartaschenlampe suchen, um den Spalt hinter dem Schrank zu durchleuchten.
Ich inspiziere sämtliche Jackentaschen an der Garderobe für den Fall, dass mein Gedächtnis irrt und ich nach der Pfarrsitzung den Stick doch in einer Tasche gelassen habe. Dabei beschließe (!) ich, mich zu beruhigen, bevor mich der Schlag trifft und schleppe mich nach oben, denn meine Glieder sind wie Blei: Kleiderschrank und Hosen sind an der Reihe. In einer Hose finde ich die Kapsel für den Ersatz-Stick. Ich nehme es gleichgültig zur Kenntnis. Da die Hosen im Kleiderschrank auf Bügeln hängen, durchsuche ich natürlich auch sämtliche Wäscheteile darunter, die den Stick hätten auffangen können, wenn er erst beim Einhängen in den Schrank heruntergefallen wäre.
Vergeblich.
Jetzt der Gang zur Waschmaschine. Ablassen des Restwassers und lnspektion des Notablaufsiebs. Wenn ich den Stick in der Maschine gekillt hätte, wollte ich es wenigstens wissen.
Leer.
Auch mein Kopf ist jetzt vollkommen leer. Buchstäblich am Boden ergebe ich mich in mein Schicksal , denke, ich sollte es nicht überdramatisieren und überschlage, wie lange es wohl dauern werde, alles neu einzugeben. Hätte es eben besser sichern sollen.
HÄTTE? HÄTTE?! – HABE ich vielleicht!
Zurück an den PC. Da die Datei so wichtig ist und ich eben ein vorsichtiger Mensch bin, habe ich sie sehr wahrscheinlich auch aufs M-Laufwerk verschoben (auf einen externen Server).
HABE ICH! HURRAAA!
Warum nur ist mir das nicht gleich eingefallen? Um das Adrenalin etwas abzubauen, gehe ich in die laue Vorsilvesternacht, zum Briefkasten und zum Bankautomaten, Kontoauszüge holen. Auf dem Rückweg frage ich mich – nur so aus akademischer Neugier, wann und ob ich wohl erfahren werde, was aus dem blauen Stick geworden ist. Schließlich kann er das Haus unmöglich verlassen haben.
Zuhause beschließe ich, die wiedergefundene Datei zu schließen und die Eingaben auf morgen zu vertagen, weil ich jetzt „keinen Nerv“ mehr habe.
Und die Moral von der Geschicht?
Jeder zieht seine eigene. Ich habe gleich mehrere Neujahrsansätze entdeckt…
PS: Mein Mann kommt nach Hause und hält mir eine Plastikhülle mit einem Dokument hin, auf dem ein blauer Stick liegt. Der Bekannte wollte den blauen Stick nicht annehmen, denn seiner sei schwarz…
Herrliche Geschichte, köstlich geschrieben!!! Hattest Du auch in Betracht gezogen, dass Eure ehrwürdige Katze den Stick für eine Runde Katz-und-Mouse-Spiel hätte zweckentfremden können? Esther.
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