Mit dem Prinzip der Gegenseitigkeit wurde ich erst vor ein paar Tagen wieder konfrontiert.
In einem Supermarkt gab es Gratis-Häppchen. Genauer gesagt: Käsestückchen auf Zahnstochern. Der kleine Stand wirkte sehr sympathisch und die freundlich lächelnde Mitarbeiterin bot jedem Kunden eine Geschmacksprobe an.
Ich kam, sah – und ergriff die Flucht.
Ich wusste genau: Wenn ich mich dazu überreden ließe von dem Käse zu probieren, würde ich mich verpflichtet fühlen ihn zu kaufen. Oder ich hätte ein schlechtes Gewissen, wenn ich ihn nicht kaufe. Ich wollte weder das eine noch das andere. Deshalb zog ich es vor, mich möglichst unauffällig in die Büsche zu schlagen …
Jeder Mensch kennt dieses zwanghafte Gefühl, eine Gefälligkeit – und sei sie noch so klein – in irgendeiner Form zurückzahlen zu müssen. Für eine erfolgreiche Werbung ist das natürlich ein super Ansatzpunkt.
Doch woher kommt dieses Gefühl und welchen Sinn hatte es ursprünglich?
Das Prinzip der Gegenseitigkeit, die Reziprozität, ist eine Grundvoraussetzung für stabile Gesellschaften
Die Verpflichtung zur Gegenseitigkeit ist außerordentlich fest in unserem Bewusstsein verankert und wahrscheinlich angeboren. Sie ist universell und kommt überall zum Einsatz: Kulturübergreifend, in jedem Alter, bei jedem Geschlecht. Das alleine zeigt schon, wie vorteilhaft diese Verhaltensweise für menschliche Gesellschaften sein muss.
Die Reziprozität sorgt zuverlässig für den Ausgleich von Geben und Nehmen. Jeder kann sich darauf verlassen, dass er für sein Geschenk in irgendeiner Form entschädigt wird. Sonst wäre niemand bereit zu teilen. Wer sich nicht an die Regel hält, gilt als egoistisch, geizig und undankbar.
Schon Kleinkinder handeln instinktiv nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit. Da wird ein begehrter Spielkamerad schon mal mit Schokolade oder einer Einladung zum Kindergeburtstag bestochen.
Als Erwachsene haben wir einen besseren Überblick und mehr Lebenserfahrung. Wir können das Zwangsverhalten bewusst unterdrücken, Geschenke ablehnen oder kritischen Situationen ausweichen. So wie ich es bei den Käsehäppchen gemacht habe. Das klappt allerdings nur, wenn wir die Situation richtig einschätzen und nicht abgelenkt sind.
Wie uns das Prinzip der Gegenseitigkeit in die Irre führt …
Um in unserem hektischen Alltag nicht überfordert zu werden, handeln wir häufig vollautomatisch, ohne Nachzudenken. Vor allem wenn es um Dinge geht, die auf den ersten Blick nicht wichtig erscheinen.
Zack – da hat es uns auch schon erwischt. Wir sind durch unsere Unaufmerksamkeit in die Falle getappt und haben ein Geschenk angenommen. Vielleicht eine Blume, ein Getränk oder einen Kugelschreiber. Dann müssen wir zusehen, wie wir da wieder herauskommen ohne allzu viel Federn zu lassen …
Das Prinzip der Gegenseitigkeit ist so stark, dass es selbst dann wirkt, wenn uns der Schenkende unsympathisch ist oder das Geschenk für uns keinerlei Wert hat. Wir haben den inneren Drang, uns zu revanchieren, um das Gleichgewicht wieder herzustellen. Und dieser Drang wird in der Werbung reichlich (aus-) genutzt.
„Kostenlose“ Werbegeschenke
Für Werbefachleute ist das Prinzip der Gegenseitigkeit ideal, um Produkte und Dienstleistungen an den Mann zu bringen. Ein kleines Geschenk hier, ein kleines Geschenk da und – wuppdiwupp – hat man zahlreiche potentielle Kunden, die einem verpflichtet sind.
Im direkten Verkauf, wie bei den Käsehäppchen, ist das besonders effektiv. Aber auch „Geschenke aus der Ferne“ sind wunderbar geeignet, Menschen auf bestimmte Produkte oder Dienstleistungen aufmerksam zu machen und sie zum Kauf zu animieren.
Besonders typisch sind Spendenaufrufe von Wohltätigkeitsorganisationen in der Adventszeit. Da werden den Briefen schöne Weihnachtskarten beigefügt, in der berechtigten Hoffnung, dass das Prinzip der Gegenseitigkeit schon seine Wirkung zeigt. Selbstverständlich sind die Karten kostenlos und verpflichten den Empfänger zu nichts. Viele spenden aber doch, um ihr Gewissen zu beruhigen. Was sind schon fünf Euro für drei Weihnachtskarten, nicht wahr? Dadurch sind die geschenkten Karten nicht so kostenlos, wie sie zunächst erscheinen.
Für Firmen rechnet sich die Investition in Werbegeschenke auf jeden Fall. Es wird immer genug Kunden geben, die nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit reagieren, so dass unter dem Strich höhere Gewinne möglich sind.
Übrigens: Auf Messen scheint das Prinzip der Gegenseitigkeit außer Kraft gesetzt zu sein. Hemmungslos werden Kugelschreiber, Schreibblöcke, Schlüsselanhänger und andere Werbegeschenke eingepackt, ohne dass jemand ein schlechtes Gewissen hat. Im Gegenteil. Jeder hat das Gefühl so richtig aus dem Vollen schöpfen zu können.
Das hängt damit zusammen, dass der Wert des Geschenks im Vergleich zum angebotenen Produkt zu gering ist. Wer kauft schon ein Auto, eine Waschmaschine oder eine Heizungsanlage, nur weil er eine Zettelbox geschenkt bekommt …
Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft
Selbst wenn Geschenkaktionen keinen direkten Marketingerfolg haben: Zumindest die Aufmerksamkeit der Kunden ist Ihnen sicher. Sie hören zu oder lesen den Werbebrief. Damit ist in der heutigen Zeit schon viel gewonnen. Vielleicht klappt es beim nächsten Versuch. Schließlich kennt man sich bereits und wegen des ersten Geschenks sind Ihnen die Kunden sowieso noch etwas schuldig …
Geschenke können auch geistiger Natur sein. Zum Beispiel Informationsbroschüren, Blogbeiträge, kostenlose Webinare, Whitepaper etc. Meistens muss die kostenlose Info mit der Herausgabe der E-Mail-Adresse bezahlt werden. Bietet die kostenlose Info den Kunden einen echten Mehrwert, sind sie bei späteren Angeboten via Newsletter viel eher bereit, ein Produkt zu kaufen.
Wie können Sie das Prinzip der Gegenseitigkeit für Ihre Werbung nutzen?
Überlegen Sie einmal, welches Geschenk, welchen Mehrwert, Sie Ihren potentiellen Kunden bieten könnten, um Ihre eigene Werbung zu stärken und Ihren Umsatz zu steigern. Überraschen Sie sie mit einer großzügigen Gratisprobe, einem kostenlosen E-Book, einem Kino-Gutschein oder sonst etwas. Lassen Sie sich etwas einfallen, das originell und für Ihre Zielgruppe sehr nützlich ist.
Denken Sie daran, dass eine längere, kostenlose Beratung ebenfalls ein kostbares Geschenk ist. Sie schenken Ihrem Kunden schließlich Ihre Zeit. Und je mehr Zeit Sie investieren, desto mehr ist Ihnen der Kunde verpflichtet. Sie wissen es und Ihr Kunde weiß es auch. Außerdem können Sie in einem solchen Gespräch Vertrauen aufbauen. Das ist dann ein weiterer Pluspunkt, der die Waagschale zu Ihren Gunsten neigen dürfte.
Viel Erfolg beim Ausprobieren!
Ihre Dagmar Hering
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