Waren Sie schon einmal am Times Square in New York? Ich hatte neulich das Vergnügen. An dieser lang gestreckten Kreuzung von Broadway und 7th Avenue schlägt das Neonherz der Metropole. Leuchtreklamen in XXXXXXL erschlagen jeden Sehnerv mit Restsehfähigkeit von > 1 Prozent. Es blinkt und blitzt an jeder Fassade. Beinahe unzählige überübergroße Werbeflächen („Spectaculars“) konkurrieren um die Aufmerksamkeit der Passantenströme. Fassadenausfüllende Werbung ist hier amtlich vorgeschrieben! Wahrlich kein kleines Unterfangen, wenn 25 Stockwerke umfassende Fassaden zu den Zwergen zählen. Wo sonst auf der Welt ist so etwas denkbar? Schätzungsweise anderthalb Millionen Fußgänger überqueren täglich die teuerste Kreuzung der Welt.
Hier ein ganz, ganz kleiner Ausschnitt der großen Glitzerwelt (Foto: Profitexter)
Riesig, bunt, digital. Die neueste digitale Werbefläche ist acht Monate alt, acht Stockwerke hoch und so lang wie ein Fußballfeld (ist hier nicht auf dem Foto). Erster gigantischer Gigantismus-Mieter? Google. Kosten? Mehr als 2,5 Millionen Dollar – für schlappe vier Wochen … Das omnipräsente Times Squares Rundumflimmern stellt locker alles Las Vegas – Geplinker in den Schatten. Es ist der HELLE WAHNSINN. Pikant: Am Times Square steht übrigens auch das ebenfalls in grellen Farben blinkende Hochhaus der britischen Bank Barclays, ehemals Hauptsitz der gecrashten Investmentbank Lehmann Brothers … Als Lehmann 2008 in die Knie ging, tauschten hoch sensible (?) Werbemenschen während der Zeit des Niedergangs das Werbeblinken aus gegen stimmungsvolle Sonnenuntergänge, wogende Kornfelder und harmlose Schäfchenwolken. Ruhige Naturaufnahmen als Naturheilmittel, um die Gemüter beruhigen … Ob es was gebracht hat?
Love is on. Augenscheinlich am meisten Aufmerksamkeit zieht trotzdem nicht das größte oder zweit- oder drittgrößte Werbefeld auf sich, sondern eines, das zwei Nummern kleiner daher blinkt als Monster-Google – also ca. ein halbes Fußballfeld breit und vier Stockwerke hoch. Was ist da los? Nun, hier sieht der Pünktchen-Fußgänger – SICH: Per Webcam wird ein Teil der nach oben starrenden Zuschauermasse visuell eingefangen und großflächig für alle ausgestrahlt. Der Fokus zieht sich immer weiter zusammen, immer weniger Menschen werden immer größer sichtbar – bis nach ungefähr 30 Sekunden nur noch vier oder fünf Köpfe in überdimensionaler Größe von der Fassade lächeln und sich jedes Mal freuen wie die Schneekönige! Dann die Aufforderung: „LOVE IS ON – NOW KISS!“ Die Leute fallen sich begeistert in die Arme. Ein riesiger Kussmund in verführerischem Rot beendet die Love-Session. Dann lässt Revlon (eine australische Makeup-Firma) noch ein paar Lippenstifte, Eyeliner und Lidschatten über das Monsterdisplay hopsen, und das Such- und Freuspiel beginnt von vorne.
(Foto: Profitexter)
Der umworbene Kunde ist hier Teil des Geschehens. Mehr noch! Er ist der hofierte König der Werbung. Mehr noch! ER der König buhlt um die Aufmerksamkeit der werbenden Webcam. Sieht er sich von der Fassade herabgrinsen, fühlt er sich wahr- und wichtig genommen. Und so bleibt er, so bleibt sie auf dem Asphalt unterhalb der Werbewand kleben, als hätten die Schuhe plötzlich Pattex angesetzt. Viele können sich kaum losreißen, weil es ja soooo schön ist, selbst im Fokus der Aufmerksamkeit zu stehen. Revlon hat`s voll begriffen! Zielgruppenorientierte Kommunikation, die sich um den Empfänger / Betrachter / Leser dreht, seine Bedürfnisse und seine Eitelkeiten. Da bleibt so viel mehr haften als bei der gesamten Blink-Blank-Blunk-Cola-Google-Samsung-Werbung – und wenn deren Werbetafeln noch so riesig ausfallen.
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